Lernende stärken – Resilienz im Pflegealltag fördern
26.05.2025
Rückblick auf den Netzwerkanlass G+S vom Kanton Zug vom 1. Mai 2025
Quelle: Präsentation von Olivier Favre, Amt für Gesundheit Kanton Zug, Kinder- und Jugendgesundheit
Pflegeberufe stellen hohe Anforderungen an Körper, Geist und Herz. Für Lernende sind diese Herausforderungen besonders intensiv. Oft erleben sie zum ersten Mal Krankheit, Schmerz und Tod in unmittelbarer Nähe. Am Netzwerkanlass G+S Kanton Zug zeigte Olivier Favre eindrücklich auf, warum die Förderung von Resilienz bei jungen Menschen im Pflegeberuf zentral ist und wie Ausbildner:innen sie dabei wirksam begleiten können.
Was bedeutet Resilienz und warum ist sie so wichtig?
Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Menschen, trotz belastender Umstände psychisch stabil zu bleiben und sich nach Rückschlägen zu erholen. Dazu gehören Kompetenzen wie Selbstwirksamkeit, Optimismus, Flexibilität und der konstruktive Umgang mit Emotionen. Gerade in der Pflege, wo hohe Belastungen zur Tagesordnung gehören, ist diese psychische Widerstandskraft entscheidend – besonders für junge Menschen, die sich noch mitten in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung befinden.
Lernende im Spannungsfeld zwischen Schule und Pflegealltag
Der Einstieg in die Pflegelehre bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich: Der Spagat zwischen Theorie und Praxis, emotionale Belastungen, Leistungsdruck, Schichtarbeit und Rollenkonflikte prägen den Alltag der Auszubildenden. Hinzu kommt, dass viele Lernende zum ersten Mal mit schwerer Krankheit, Sterben und Tod konfrontiert werden – das geht nicht spurlos an ihnen vorbei.
Zudem erleben sie sich oft «zwischen den Stühlen»: Einerseits sind sie noch Lernende, andererseits wird bereits Verantwortung von ihnen erwartet, nicht selten ohne ausreichende Begleitung oder klare Grenzen. Wenn dann noch negative Praxiserfahrungen, fehlende Anleitung oder ein rauer Umgangston hinzukommen, kann dies die psychische Belastung zusätzlich verstärken.
Generation Z – eine neue Generation mit eigenen Bedürfnissen
Die Präsentation beleuchtete auch die besonderen Merkmale der Generation Z, also jener jungen Menschen, die zwischen ca. 1995 und 2010 geboren wurden. Die sechs zentralen Herausforderungen in der Lehre wurden wie folgt dargestellt:
- 1. Hoher Wunsch nach Sinn und Mitbestimmung
Herausforderung: Klare Hierarchien und «Dienst nach Vorschrift» werden infrage gestellt. Gen Z will verstehen, warum sie etwas tun.
Auswirkung: Aufgaben ohne erkennbaren Sinn oder starrer Führungsstil führen schnell zu Demotivation. - 2. Geringere Frustrationstoleranz
Herausforderung: Viele sind weniger geübt darin, mit Kritik, Rückschlägen oder Langeweile umzugehen.
Auswirkung: Konflikte oder Herausforderungen führen schneller zu Überforderung oder Rückzug. - 3. Digitaler Dauerfokus und kurze Aufmerksamkeitsspanne
Herausforderung: Multitasking, ständige Verfügbarkeit und ein Leben mit sozialen Medien haben die Konzentrationsfähigkeit verändert.
Auswirkung: Längere Gespräche, Feedbackprozesse oder monotone Aufgaben werden als anstrengend erlebt. - 4. Starkes Bedürfnis nach Feedback und Wertschätzung
Herausforderung: Gen Z wünscht sich häufige Rückmeldungen, nicht nur bei Fehlern.
Auswirkung: Wenn Feedback ausbleibt oder unpersönlich ist, kann das als Desinteresse oder Ablehnung gewertet werden. - 5. Grenzen zwischen Beruf und Privatleben
Herausforderung: Die Work-Life-Balance ist für Gen Z zentral. Sie priorisieren ihr Wohlbefinden deutlich stärker.
Auswirkung: Überstunden oder Pflichterfüllung «um jeden Preis» werden oft abgelehnt. - 6. Unsicherheiten und Ängste
Herausforderung: Klimakrise, wirtschaftliche Instabilität und ständige Vergleichbarkeit (Social Media) führen zu Verunsicherung.
Auswirkung: Der Wunsch nach Sicherheit, klaren Strukturen und psychologischer Sicherheit ist gross – gleichzeitig besteht aber der Wunsch nach Flexibilität.
Die Rolle der Ausbildner:innen: Klar in der Haltung, nah in der Beziehung
Die Präsentation zeigte klar auf, welche Aufgaben Ausbildner:innen übernehmen können, um die Resilienz von Lernenden gezielt zu stärken. Im Zentrum stehen Beziehung, Vorbildfunktion, ressourcenorientiertes Arbeiten, ein unterstützendes Lernumfeld und die Fähigkeit, klar und konsequent zu fordern sowie Grenzen zu setzen.
- Beziehung und Vertrauen aufbauen
• Lernende brauchen eine sichere Beziehung, in der sie Fehler machen dürfen, Fragen stellen können und Wertschätzung erleben.
• Authentische Kommunikation: Ehrlich, respektvoll, offen.
• Interesse zeigen: «Wie geht es dir?», «Was beschäftigt dich?» – ernst gemeinte Fragen machen einen grossen Unterschied. - Vorbildfunktion übernehmen
• Lernende orientieren sich stark an ihren Vorgesetzten.
• Wenn Sie in Stresssituationen ruhig bleiben, Lösungen suchen und positiv mit Fehlern umgehen, lernen sie das gleiche Verhalten.
• Auch der Umgang mit Emotionen kann vorgemacht werden: Trauer, Ärger, Überforderung dürfen sein – aber es sollte konstruktiv damit umgegangen werden. - Ressourcenorientiertes Arbeiten
• Nicht nur auf Defizite schauen: «Was fehlt noch?», sondern auf Stärken fokussieren: «Was läuft schon gut?», «Worin bist du besonders stark?»
• Positive Rückmeldungen geben – sie fördern Motivation und Selbstwirksamkeit.
• Wertschätzend und konkret formulieren. - Lernumfeld aktiv gestalten
• Lernende sollen sich als Teil des Teams fühlen, aber mit klaren Schutzräumen zum Lernen und Fragen stellen.
• Strukturierte Einarbeitung und transparente Aufgaben helfen, Unsicherheit zu reduzieren.
Fordern und Grenzen setzen – mit Klarheit und Beziehung
Ein zentrales Element in der Begleitung von Lernenden ist der bewusste Umgang mit Anforderungen und Grenzen. Die Präsentation betonte dabei mehrfach:
«Klar in der Haltung sein und nah in der Beziehung.»
- Beziehung vor Leistung – aber nicht ohne Leistung
Fordern: Klare Erwartungen aussprechen, Ziele transparent machen – nicht weich, aber respektvoll.
Grenzen setzen: Mach deutlich, was nicht verhandelbar ist (z. B. Pünktlichkeit, Umgangsformen). Begründe Regeln, aber bleibe konsequent. - Verantwortung geben – nicht nur Aufgaben
Fordern: Gib bewusst Aufgaben, die sie fordern – auch wenn’s unbequem wird. Unterstütze bei der Bewältigung, aber nimm es ihnen nicht ab.
Grenzen setzen: Wenn Verantwortung nicht wahrgenommen wird, thematisiere das sofort sachlich. Keine Konsequenzen androhen – sondern erklären. - Klar kommunizieren – mit Herz und Haltung
Fordern: Formuliere Anforderungen konkret: «Ich erwarte, dass du...» statt «Du solltest vielleicht...».
Grenzen setzen: Sag, was du brauchst – nicht nur, was dich stört. «Ich brauche Verlässlichkeit» ist klarer als «Das geht so nicht». - Fehler zulassen – aber nicht gleichgültig bleiben
Fordern: Bestehe darauf, dass aus Fehlern Konsequenzen gezogen werden. Auch reflektiertes Verhalten ist eine Form von Leistung.
Grenzen setzen: Wiederholte Nachlässigkeit muss angesprochen und – wenn nötig – mit klaren Massnahmen beantwortet werden. - Selbstreflexion anregen – statt nur Ratschläge geben
Fordern: Frag auch: «Was ist dein Anteil daran, dass das nicht geklappt hat?»
Grenzen setzen: Zeig auf, wo Selbstverantwortung beginnt – aber hilf, sie zu entwickeln, nicht nur einzufordern.
Fazit: Resilienzförderung ist Führungsaufgabe und eine Investition in die Zukunft
Resiliente Lernende sind nicht nur besser gewappnet für den Pflegealltag, sie entwickeln sich auch zu reflektierten, verantwortungsbewussten Fachpersonen. Wer als Ausbildner:in in Beziehung investiert, klare Haltung zeigt und mit Herz kommuniziert, trägt aktiv dazu bei, junge Menschen in diesem anspruchsvollen Beruf zu stärken.
In einer Zeit, in der der Pflegeberuf dringend Nachwuchs braucht, ist dies keine Option, sondern eine Notwendigkeit.
Quelle: Netzwerkanlass G+S Kanton Zug, 01.05.2025 – Präsentation von Olivier Favre, Amt für Gesundheit Kanton Zug, Kinder- und Jugendgesundheit